Aktuelle Meldungen über fast schon spektakuläre und dreiste Betrugsmechanismen im Bereich der Umsatzsteuer lassen auf mit ungebrochenem Willen und hoher krimineller Energie durchgeführte (Schein-) Transaktionen schließen, bei denen nicht nur für den regulären Wirtschaftskreislauf hohe Kollateralschäden entstehen können, sondern auch generell das Vertrauen in ein rechtssicheres Funktionieren des aktuellen Mehrwertsteuersystems erschüttert wird.

Ein kurzer Rückblick: Schon seit Einführung des heutigen Umsatzsteuergesetzes im Jahre 1968 gab es ein hohes Maß an Umsatzsteuerkriminalität. Dies liegt an einem quasi systemimmanenten Konstruktionselement des Umsatzsteuergesetzes, dem Vorsteuerabzug nach § 15 UStG. Für den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer ist eine ordnungsgemäß ausgestellte Rechnung ein wertvoller Vermögensgegenstand, eine schnell realisierbare Gutschrift gegenüber dem Fiskus. Nach den Regelungen im UStG im Falle der üblichen Soll-Versteuerung ist die Vorsteuer regulär bereits dann gegen die Umsatzsteuer auf Ausgangsleistungen verrechenbar bzw. auch erstattungsfähig, wenn eine ordnungsgemäß nach § 14 USG ausgestellte Rechnung vorliegt. Ob und wann diese Rechnung tatsächlich bezahlt wird, spielt für den Vorsteuerabzug demnach keine Rolle. Dazu kommt, dass die Umsatzsteuer im Meldeverfahren elektronisch übermittelt wird – ein Massenverfahren ohne wirkliche Chance der Finanzbehörden, umfassende und flächendeckende, vor allem aber, zeitnahe Kontrollen durchzuführen.

Vorsteuerabzug: Ein Konstruktionsfehler des geltenden Umsatzsteuerrechts

Zu verlockend war von Anfang an die Möglichkeit, dass man sich bei Übersteigen der Vorsteuer gegenüber den Steuerbeträgen auf Ausgangsleistungen diese Differenz vom Finanzamt erstatten lassen konnte. In den ersten Jahren nach Einführung des neuen Mehrwertsteuersystems, übrigens nach heute in Vergessenheit geratenen, deutlichen Warnungen aus der Wissenschaft, war der unbefugte Griff in die Finanzkasse noch ganz einfach: Man musste nach einer gewissen Vertrauensperiode nur einmal einen hohen negativen Betrag als monatlichen oder vierteljährlichen Erstattungsbetrag geltend machen. Dazu war es oftmals noch nicht einmal erforderlich, eine Rechnung zu fälschen oder sonst einen besonders ausgeklügelten Betrugsmechanismus in Gang zu setzen. Schlicht die falsche Deklaration ermöglichte teilweise Erstattungen schon damals in Millionenhöhe.

Dagegen wirken heutige schwere Straftaten mit mehreren Beteiligten und Transaktionen weitaus anspruchsvoller, gleichwohl aus Sicht der Täter nicht weniger lukrativ.

Betrugskarusselle weiterhin aktiv mit enormen Risiken auch für unbewusst beteiligte Unternehmer

Am Beispiel der Umsatzsteuer-Karusselle lässt sich zeigen, wie unglücklich sich die derzeitige Situation darstellt. Auch nach langjähriger Erfahrung in der Betrugsbekämpfung scheint die Finanzverwaltung einen Kampf gegen Windmühlen zu führen. Ärgerlich dabei ist, dass auch weiterhin Unternehmen davon betroffen sein können, die zumindest nicht bewusst bzw. nicht mit krimineller Absicht an dem Karussell teilnehmen.

Um die für Unternehmer bestehenden Risiken zu verdeutlichen, wird im Folgenden kurz die Funktionsweise eines Umsatzsteuer-Karussells vereinfacht dargestellt:

Zentraler Bestandteil ist bei einem Karussell ebenso wie bei den jüngst bekannt geworden Fällen in Bayern eine Scheinfirma (Missing Trader), wobei hier nur die Steuerfolgen aufgezeigt werden, wenn das Karussell zunächst nicht aufgedeckt wird und die beteiligten „echten“ Unternehmer gutgläubig sind.

Beispiel: Missing Trader (M) im Inland erwirbt aus dem EU-Ausland Waren von einem Lieferanten L. Es liegt (nur) aus Sicht des L eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor, während M im Inland einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb vollzieht, beim dem die USt auf diesen Erwerb auch wieder als Vorsteuer abzugsfähig ist. Er müsste beim Weiterverkauf der Waren an den Zwischenhändler Z die auf den Nettokaufpreis entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 19% eigentlich an den Fiskus abführen. Dieser Verpflichtung kommt er nicht nach. Bis das Finanzamt ihm auf die Schliche kommt, ist M verschwunden. Das Finanzamt kann die nicht abgeführte Steuer nicht mehr eintreiben. Die Waren werden anschließend meist verbilligt über mindestens einen inländischen Zwischenhändler wieder ins EU-Ausland zurück an den ursprünglichen Lieferanten L verkauft. Zum Karussell wird der Sachverhalt, da dieselben Waren mehrmals bewegt werden können. Beim Zwischenhändler passiert vordergründig keine Unregelmäßigkeit, denn er führt die Umsatzsteuer auf die vereinnahmten Entgelte abzüglich der ihm in Rechnung gestellten Vorsteuer an das Finanzamt ab.

Risiken identifizieren, Steuernachteile und strafrechtliche Folgen vermeiden

Es dürfte klar sein, dass beim Missing Trader Straftaten in gleich mehreren Rechtsgebieten verwirklicht werden. Dabei steht meist die besonders schwere Steuerhinterziehung im Vordergrund. Daneben können oftmals weitere Delikte von der Urkundenfälschung bis zur Bildung einer kriminellen Vereinigung vorliegen.

Nicht selten werden jedoch auch solche Unternehmen in Umsatzsteuer-Karusselle eingebunden, die nicht wissentlich daran teilnehmen, wie etwa in dem obigen Beispiel der Zwischenhändler. Hier spielt die Vorsorge im Finanzmanagement eine große Rolle. Der Tax Compliance als Teil des Risk Managements eines Unternehmens kommt eine erweiterte Aufgabe zu, die sich keinesfalls nur auf das eigene Rechnungswesen beziehen kann. Das Management muss sich bildlich gesprochen als Vorposten der Steuerfahndung verstehen. Konkret bedeutet dies, dass Vorkehrungen getroffen werden sollten, etwa Karussellware zu erkennen und es sollten Prozesse etabliert werden, um die enormen Schäden allein durch Versagen des Vorsteuerabzugs abzuwenden – unberechtigter Steuerausweis nach § 14c UStG schließt den Vorsteuerabzug aus (Abschn. 14c.1 Abs. 4 UStAE). Hinzu kommt, dass die Geltendmachung von Vorsteuern aus solchen Rechnungen als eigene Steuerstraftat gewertet werden kann. Der BGH (Bundesgerichtshof) stellt in solchen Fällen des unzutreffenden Vorsteuerabzugs auf die Kenntnis des Leistungsempfängers ab. Hätte dieser im Zeitpunkt des Leistungsbezugs wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, ist ihm das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen. Dieses Recht entfällt dagegen nicht, wenn diese Kenntnis erst nachträglich erlangt wird (so BGH, Beschluss vom 01.10.2013, 1 StR 312/13).

Demzufolge müssen zusätzliche Maßnahmen umgesetzt werden, um zumindest eine fahrlässige Einbindung in ein Umsatzsteuer-Karussell zu verhindern. Es gibt hierzu umfassende Checklisten mit einzelnen Prüfkriterien von der qualifizierten Abfrage der USt-Identifikaktionsnummer über Handelsregisterauszüge der Geschäftspartner bis hin zur Kontrolle auffälliger Warenbewegungen mit atypischen Preisen und Mengen.

Dieser Aufwand zeigt hier nur exemplarisch, dass bereits die Vorsorge mit außerordentlichen Anstrengungen verbunden ist. Erst recht ist eine entschlossene und koordinierte Vorgehensweise notwendig, wenn unternehmensintern erste Anzeichen für eine Einbindung in ein Betrugskarussell vorliegen. Neben den eigenen Ressourcen können Unternehmen auf die Expertise von externen Beratern zurückgreifen. Hier sind erfahrene Steuerberater und Anwälte gefragt, die neben der steuerstrafrechtlichen Praxis auch über fundierte Kenntnisse im Umsatzsteuerrecht verfügen. Im Falle von akuten Bedrohungen – evtl. gar unter Beteiligung von Beschäftigten in dem betroffenen Unternehmen – ist dazu ein schneller und effizienter Einsatz sehr wichtig.

Fazit: Das geltende Umsatzsteuersystem ist anfällig für Betrug und daher reformbedürftig

Unsere Erfahrungen aus der langjährigen Praxis zeigen, dass die Steuerfahndung teilweise recht rabiat gegen Unternehmer vorgeht. Dies selbst dann, wenn eigentlich klar sein müsste, dass sie zumindest nicht absichtlich an einem Umsatzsteuer-Karussell teilgenommen haben. Auch muss der Unternehmer einen kaum zu bewältigenden externen wie auch internen, teilweise schon investigativen Kontrollaufwand betreiben, um wenigsten die Chance zur Vermeidung steuerlicher Nachteile und strafrechtlicher Folgen zu haben. Der Unternehmer ist faktisch gezwungen, die Unzulänglichkeiten des geltenden Umsatzsteuersystems mit einer privat finanzierten Vorhut der Steuerfahndung zu kompensieren und wird zusätzlich empfindlich sanktioniert, wenn ihm dies nicht perfekt gelingt. Auf den Punkt gebracht: Eine Marktwirtschaft lebt auch von Vertrauen in Geschäftspartner und Mitarbeitende. Die aktuelle Situation zwingt wenigsten teilweise zu massiven Misstrauen. In der Familie und im Unternehmen gilt das Gleiche: Vertrauen ist ein nahezu unbezahlbares Gut; durch unbegründetes Misstrauen kann viel zerstört werden. Dagegen gilt wohl doch wieder der alte Spruch: Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.

Die Reaktionen des Gesetzgebers mit der Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens auf immer mehr Transaktionsarten zeigen bereits in die richtige Richtung. Durch Umkehr der Steuerschuldnerschaft mit der Vorschrift des § 13b UStG können Betrugskarusselle eingedämmt werden.

Mittelfristig sollte auch über einen Systemwechsel nachgedacht werden. Das Umsatzsteuerrecht darf nicht dauerhaft zur Steuerfalle für eine Vielzahl von Unternehmern werden. Einer Reform steht aber hier sicherlich nicht nur die Schwerfälligkeit der EU-Institutionen im Weg. Bis dahin bleibt es eine vordringliche Aufgabe im Finanzmanagement, alle erforderlichen Präventivmaßnahmen im Rahmen der Tax Compliance umzusetzen und den geänderten Erkenntnissen ständig anzupassen. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung den geplanten Anwendungserlass zu § 153 AO auf den Weg bringt und damit auch der grundsätzlich in Deutschland gepflegten meist guten Zusammenarbeit zwischen Betriebsprüfung, steuerlichen Beratern und Steuerpflichtigen mit einer praxisorientierten Lösung Rechnung trägt. In jedem Fall sollte eine gut dokumentierte Tax Compliance in der Lage sein, den Vorwurf der Leichtfertigkeit oder gar des Vorsatzes in Bezug auf den Tatbestand der Steuerhinterziehung, zu entkräften.