Mit Urteil vom 26.03.2025 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde mehrerer FDP-Politiker gegen das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolZG 1995) als unbegründet zurückgewiesen.
Ausgangslage
Der „Soli“ wurde vor 30 Jahren zum 01.01.1995 eingeführt, um die Kosten der deutschen Wiedervereinigung zu stemmen. Die Kläger hatten argumentiert, diese Kosten seien längst bezahlt und eine Ergänzungsabgabe wie der „Soli“ darf nicht dauerhaft erhoben werden. Der Solidarpakt II zur Unterstützung der neuen Bundesländer ist 2019 ausgelaufen.
Seit 2021 zahlt wegen einer hohen Freigrenze nur noch etwa jeder zehnte Einkommensteuerzahler die Ergänzungsabgabe, zuletzt rund sechs Millionen Menschen und etwa 600.000 Kapitalgesellschaften den „Soli“. Außerdem entfällt er auf Kapitalerträge.
Wäre der Solidaritätszuschlag rückwirkend für verfassungswidrig erklärt worden, hätte dies zu Rückzahlungen von bis zu 66 Milliarden Euro führen können. Zudem bringt er dem Staat aktuell ca. 13 Milliarden Euro pro Jahr.
Das Urteil
Das Gericht führt aus, dass der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe einen aufgabenbezogenen finanziellen Mehrbedarf des Bundes voraussetzt, der durch den Gesetzgeber allerdings nur in seinen Grundzügen zu umreißen ist. Im Fall des Solidaritätszuschlags ist dies der wiedervereinigungsbedingte finanzielle Mehrbedarf des Bundes. Ein im Verfahren vorgelegtes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass selbst 30 Jahre nach der Wiedervereinigung trotz positiver Entwicklungen noch strukturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland verbleiben und es auch noch bis 2030 in bestimmten Bereichen wiedervereinigungsbedingte Belastungen des Bundeshaushalts gibt.
Eine Ergänzungsabgabe ist nach dem Urteil auch nicht von vornherein zu befristen oder nur in Ausnahmesituationen zu erheben, sondern an dem finanziellen Mehrbedarf für bestimmte Aufgaben zu messen.
Das Auslaufen des Solidarpakts II mit Ablauf des Jahres 2019 ist nach den Ausführungen des Gerichts unerheblich. Dadurch sei lediglich die bis dahin erfolgte konkrete Ausgestaltung der Unterstützung der neuen Länder durch den Bund zu ihrem Ende gekommen. Dies bedeute dagegen nicht, dass der Bund nicht auch nach diesem Zeitpunkt wiedervereinigungsbedingte Bedarfe der neuen Länder im gesamtstaatlichen Interesse, namentlich zur Herstellung möglichst gleichwertiger Lebensbedingungen, finanziell auszugleichen hat.
Die Belastungen durch den „Soli“ seien auch nicht unverhältnismäßig. Dies gelte auch für die Einschränkung ab 2021 auf wenige Einkommensteuerzahler mit hohen Einkommen. Die teilweise Rückführung entspreche der Rückführung der Ergänzungsabgabe, mit der der Bundesgesetzgeber seiner nachstehend beschriebenen Beobachtungsobliegenheit nachkomme. Außerdem berücksichtige dies die Leistungsfähigkeit der Einkommensteuerpflichtigen und entspreche damit dem Sozialstaatsprinzip.
In der Anwendung der Freigrenze nur auf Einkommensteuerzahler und nicht auf Steuerpflichtige, die Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer zahlen, sieht das Bundesverfassungsgericht keine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte.
Bewertung
Das Bundesverfassungsgericht lässt dem Bundesgesetzgeber einen sehr weiten Spielraum für die Erhebung einer Ergänzungsabgabe. Bei der Lektüre der Pressemitteilung drängt sich die Frage auf, ob zukünftig für weitere denkbare Aufgaben des Bundes Ergänzungsabgaben eingeführt werden können („Klima-/Flüchtlings-/Energie-/Verteidigungs-/you name it-Soli“). Der weite Ermessensspielraum des Mehrbedarfs, der „nur in Grundzügen zu umreißen ist“, lässt Böses für die Steuerpflichtigen erwarten.
In seinem wesentlichen Argument des finanziellen Mehrbedarfs des Bundes stützt sich das Bundesverfassungsgericht auf ein Gutachten des DIW und des ifo Instituts. Dies macht die Ausführungen auf einer anderen Ebene angreifbar – ob das dem Urteil zugrunde liegende Gutachten korrekt erstellt wurde.
Tatsächlich erscheint es fragwürdig, dass unter Anwendung des Sozialstaatsprinzips bei der Einkommensteuer stärkere Schultern mehr tragen sollen, jedoch bei der Körperschaftsteuer und der Kapitalertragsteuer das Leistungsfähigkeitsprinzip keine Rolle zu spielen scheint. Es gibt mehr oder weniger erfolgreiche Unternehmer oder etwa Rentner mit kleinen Einkommen und geringen Kapitalerträgen, die auf diese den vollen „Soli“ zahlen müssen.
Ausblick
Das Gericht gab dem Bundesgesetzgeber eine Beobachtungsobliegenheit mit. Ein evidenter Wegfall des Mehrbedarfs begründet demnach eine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Abgabe aufzuheben oder ihre Voraussetzungen anzupassen. Das zitierte Gutachten kommt mindestens bis 2030 zu einem Mehrbedarf. Der errechnete jährliche Mehrbedarf entspricht danach erstaunlicherweise dem Aufkommen des Solidaritätszuschlags von 13 Milliarden Euro.
Unabhängig von dem aktuellen Urteil bleibt die politische Frage der hohen Steuerbelastung in Deutschland. Im Wahlkampf hatte die Union die Abschaffung des Solidaritätszuschlags gefordert. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gestaltet sich dies aktuell schwierig.
Markus Schenk ist Nachfolgeexperte bei der auf Transaktionen, Investments und Tax Compliance spezialisierten Steuerkanzlei TAXGATE.