Das Land Brandenburg hat im Bundesrat am 04.11.2016 eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung der Abgeltungsteuer gestartet (vgl. BR-Drs. 643/16). Nach erfolgter Einführung des internationalen automatischen Informationsaustauschs von Steuerdaten sollen Kapitaleinkünfte wieder dem persönlichen Einkommensteuersatz unterworfen werden. Damit sei der seinerzeitigen Begründung des damaligen Bundesfinanzministers Steinbrück („besser 25% von X als nix“) für die Einführung der Abgeltungsteuer gänzlich der Boden entzogen worden. Die im Jahre 2009 eingeführte Abgeltungsteuer sei nunmehr eine ungerechtfertigte Privilegierung von Besserverdienenden.
Die Initiative scheint auch auf Zustimmung in Kreisen der Bundesregierung zu stoßen. So hat der amtierende Bundesfinanzminister Schäuble bereits vor über einem Jahr angekündigt, er wolle „in der nächsten Legislaturperiode darüber nachdenken, ob wir die Steinbrücksche Steuerreform bei der Kapitalertragsteuer, die ja mit der Unvollkommenheit der Erfassung von Kapitaleinkünften begründet war, zur Disposition stellen“ (SZ v. 10.11.2015).
Auch die jüngst beschlossene Reform der Investmentbesteuerung, die ab 2018 zu einem kompletten Systemwechsel bei der Besteuerung von Investmentfonds führt, deutet an einigen Stellen auf eine anstehende Steuerverschärfung hin. Einerseits hat der Gesetzgeber bereits den Bestandsschutz für Fondsanteile, die vor Einführung der Abgeltungsteuer angeschafft wurden abgeschafft. Diese Alt-Fondanteile werden ab 2018 in die Steuerpflicht überführt. Andererseits resultiert aus der Kombination von neuer definitiver Besteuerung auf Fondsebene und zusätzlicher Besteuerung auf Anlegerebene künftig in einigen Fällen eine Gesamtsteuerbelastung, die über dem derzeitigen Niveau der Abgeltungsteuer liegt (vgl. Elser/Thiede, NWB Erben und Vermögen, Heft 9/2016, S. 299).
Bislang ist in der Diskussion unbeachtet geblieben, dass die lange vorbereitete Einführung der Abgeltungsteuer im Jahre 2009 keineswegs lediglich mit der o.g. Bekämpfung der Steuerflucht begründet wurde, sondern eine Vielzahl weiterer Argumente für die Abgeltungsbesteuerung mit einem ESt-Satz von 25% sprachen. Sie wurde vom Gesetzgeber auch als eine moderne Besteuerungsform für private Kapitaleinkommen propagiert. Es erscheint daher an der Zeit, diese Punkte wieder in das Gedächtnis zu rufen:
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- Gleichbehandlung mit anderen Einkunftsarten: Vielfach wird vergessen, dass die seinerzeitige Einführung der Abgeltungsteuer nicht nur mit einer Reduktion des Einkommensteuersatzes für Kapitalerträge verbunden war. Der Kapitalanleger muss im Gegenzug mit signifikanten steuerlichen Benachteiligungen leben. So sind beispielsweise Werbungskosten nicht abzugsfähig und Verluste sind nicht mit anderen Einkunftsarten ausgleichbar. Die Abgeltungsteuer ist eine Einnahmenbesteuerung ohne steuermindernden Kostenabzug und ohne horizontalen Verlustausgleich mit anderen Einkunftsarten. Wer die Abgeltungsteuer streichen will, muss aus Gründen der Gleichbehandlung die alten Verrechnungsregeln wieder einführen. Dann könnten auch Kapitalerträge mit Verlusten aus anderen Einkünften, etwa Vermietung, verrechnet werden. Das reduziert in einigen Fällen die Steuerlast mehr als derzeit.
- Ausgleich für die Abschaffung der bislang steuerfreien Kursgewinne im Privatvermögen: Mit Einführung der Abgeltungsteuer wurde für Kapitalanleger seinerzeit eine signifikante Steuererhöhung beschlossen: Zuvor waren Kursgewinne im Privatvermögen außerhalb einer einjährigen Spekulationsfrist steuerfrei. Dies wurde ab 2009 abgeschafft. Der reduzierte Kapitalertragsteuersatz diente dem Ausgleich für diese erhebliche, steuererhöhende Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.
- Ausgleich für die steuerliche Vorbelastung von Dividenden auf Ebene der ausschüttenden Kapitalgesellschaft: Gewinne unterliegen auf Ebene der Kapitalgesellschaft einer Steuerbelastung mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer iHv. ca. 30%. Eine erneute Vollbesteuerung der Dividende auf Anteilseignerebene bei Ausschüttungen würde zu eine Übermaßbesteuerung iHv. über 60% und damit zu einer signifikanten Benachteiligung der Eigenkapitalfinanzierung von Kapitalgesellschaften führen. Aus diesem Grunde wurden vor Einführung der Abgeltungsteuer Dividenden auch nur zur Hälfte besteuert (sog. Halbeinkünfteverfahren). Dies wurde mit Einführung der Abgeltungsteuer abgeschafft, da insoweit der ermäßigte Steuersatz von 25% zur Anwendung kam. Würde man die Abgeltungsteuer abschaffen, müsste man auch wieder eine privilegierte Dividendenbesteuerung einführen. Andernfalls wäre die Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften bevorzugt, da Zinsen auf Gesellschaftsebene steuerlich abzugsfähig sind.
- Besteuerungsvereinfachung: Die Abgeltungsteuer brachte eine erhebliche Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für die Finanzämter und die Steuerpflichtigen. Bis dahin wurden Zinsen, Dividenden und private Veräußerungsgewinne unterschiedlich besteuert. Darüber hinaus erfolgt die Steuererhebung in den meisten Fällen abschließend durch die Banken. Der Großteil der Steuerpflichtigen muss die Kapitalerträge nicht in seiner Steuererklärung angeben. Bei Abschaffung der Abgeltungsteuer müssten wieder sämtliche Kapitalerträge ermittelt, in der Steuererklärung angegeben und von den Finanzämtern geprüft werden. Eine erhebliches Mehr an Deklarations- und Verwaltungsaufwand wäre die Folge.
- Abmilderung der inflationsbedingten Scheinertragsbesteuerung: Vielfacht wird vorgebracht, dass auch andere Vermögenserträge, wie z.B. Mieterträge ungemildert der Besteuerung unterliegen. Dies verkennt jedoch, dass das Geldvermögen anders als Sachvermögen der wertvernichtenden Wirkung der Inflation ausgesetzt ist. Die Nominalzinsen stellen in Höhe der Inflation einen Scheinertrag dar, der lediglich den Wertverlust im Geldvermögen kompensiert. Eine Besteuerung dieser Nominalzinsen kommt einer Substanzbesteuerung gleich. Der niedrigere Abgeltungsteuersatz dient der Abmilderung dieser Scheinertragsbesteuerung.
- Lenkungspolitische Gründe: Schließlich wurde die Einführung der Abgeltungsteuer auch damit begründet, dass steuerliche Anreize zum Aufbau einer privaten Altersversorgung und auch zur Erhöhung der im internationalen Vergleich sehr niedrigen Aktienquote deutscher Haushalte dringend erforderlich sind. Diese Argumente haben an Aktualität nichts eingebüßt.
Es ist davon auszugehen, dass nach der nächsten Bundestagswahl die Abschaffung der Abgeltungsteuer von verschiedenen Seiten zur Diskussion gestellt wird. Hierbei bleibt zu hoffen, dass ein derartiges Vorhaben sorgfältig geprüft wird und nicht vorschnell mit Teilargumenten unsachgemäße Schlüsse gezogen werden. Die Abgeltungsteuer hat sich in der Praxis bewährt. Eine Abschaffung würde neue Verwerfungen bringen und die Komplexität und den Besteuerungsaufwand für Kapitalanleger und Fiskus wieder signifikant erhöhen.
Dr. Thomas Elser ist Steuerberater bei der auf Transaktionen, Investments und Tax Compliance spezialisierten Steuerkanzlei TAXGATE.