I. Hintergrund der Hinzurechnungsbesteuerung
Das deutsche Ertragssteuerrecht behandelt Körperschaften als eigenständige Steuersubjekte. Danach sind deren Ergebnisse zunächst nur bei dieser der Besteuerung zu unterwerfen (Trennungsprinzip). Durch die Abschirmwirkung könnten Steuerinländer auf die Idee kommen, Einkünfte auf ausländische Körperschaften zu verlagern, um dort durch ein niedriges Steuerniveau einen Steuervorteil zu erlangen. Aufgrund dessen hat der deutsche Gesetzgeber die Hinzurechnungsbesteuerung in den 70er Jahren ins Gesetz aufgenommen, um solche plumpen Gestaltungen zu verhindern.
Die Hinzurechnungsbesteuerung hebt das Trennungsprinzip unter bestimmten Voraussetzungen auf und zieht die ausländischen Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft nach Deutschland und werden dort bei dem inländischen Beteiligten der Besteuerung unterworfen. Es wird somit fingiert, wie wenn der inländische Beteiligte diese Einkünfte direkt erwirtschaftet hätte.
Die Hinzurechnungsbesteuerung nach der aktuellen Rechtslage greift dann ein, wenn ein inländischer Beteiligter bzw. Beteiligte (Inlandsbeherrschung) zu mehr als 50% an der ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt sind und die Kapitalgesellschaft zum einen keine aktiven Einkünfte nach § 8 AStG (Aktivkatalog) erwirtschaftet und des Weiteren die ausländische Kapitalgesellschaft mit den passiven Einkünften einer Niedrigbesteuerung nach § 8 Abs. 3 AStG unterliegen (Steuersatz < 25%). Die ausländische Kapitalgesellschaft wird bei Erfüllung der Tatbestandvoraussetzungen als Zwischengesellschaft bezeichnet (im Gegensatz zu reinen Briefkastengesellschaften, bei denen auch ohne das AStG ein vollständiger Durchgriff erfolgt).
Für ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung innerhalb der EU besteht die Möglichkeit trotz des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzung, die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung zu vermeiden, soweit nachgewiesen werden kann, dass diese ausländische Kapitalgesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt (§ 8 Abs. 2 AStG).
II. Verschärfung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz und die künftig hieraus resultierenden Handlungsfelder
Durch die Vorgaben der EU wurden alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, einen Mindeststandard für eine Hinzurechnungsbesteuerung in nationales Steuerrecht umzusetzen (Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken, ATAD). Inzwischen wurde der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung dieser Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz) veröffentlicht. Aus diesem Entwurf ergeben sich wesentliche Änderungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG, welche im Folgenden einer ersten Analyse unterzogen werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung bleiben im Wesentlichen dieselben (Vereinnahmung von passiven Einkünften die aus einem Niedrigsteuerland stammen; Steuersatz < 25%); zu ergänzend geplanten Änderungen im Falle von Steueroasen s. TAXGATE Blog vom 02.03.2021. Der Entwurf enthält hierbei aber auch Neuregelungen die weit über das Ziel hinausschießen und bei Umsetzung des Entwurfes einen erheblichen Compliance- sowie Beratungsaufwand zur Folge haben können. Die wesentlichen Änderungen, möchten wir im Folgenden darlegen.
A. Einführung des Beherrschungskonzept
a) Beherrschungskonzept durch Beteiligungsstruktur
Das bisher geltende Inländerbeherrschungskonzept wird aufgegeben und durch das Beherrschungskonzept ersetzt. Künftig sind die Beherrschungserfordernisse gesellschafterbezogen zu betrachten. Gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AStG-E wird eine ausländische Kapitalgesellschaft dann beherrscht, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger (gilt auch für beschränkt Steuerpflichtige) allein oder zusammen mit ihm nahestehende Personen (z.B. in einer Konzernstruktur) mehr als die Hälfte der Stimmrechte oder mehr als die Hälfte am Nennkapital unmittelbar und mittelbar zugerechnet wird. Die folgenden zwei vereinfachten Beispiele (aus dem Regierungsentwurf) sollen das Beherrschungskonzept verständlich aufzeigen: Die in Deutschland ansässige A-GmbH ist zu 49% an der ausländischen, niedrig besteuerten (Steuersatz < 25%) und passive Einkünfte erzielende Zwischengesellschaft (ZG) beteiligt. Die in Frankreich ansässige B-S.à.r.l. ist zu mehr als 25% (hier: 100%) an der A-GmbH und zu 2% an der ZG beteiligt. Nach der bisher geltenden Regelung lag keine Inlandsbeherrschung vor, da die A-GmbH nur zu 49% an der ZG beteiligt ist. Nach dem neuen Beherrschungskonzept allerdings stellen solche nun künftig einen Hinzurechnungstatbestand dar, denn neben den 49%, welche die A-GmbH unmittelbar an der ZG hält, werden ihr zusätzlich durch die nahestehende Person B-S.à.r.l. die Beteiligung von 2% zugerechnet (da die B S.à.r.l. zu mind. 25% (hier: 100%) an der A-GmbH beteiligt ist). Somit „beherrscht“ die A-GmbH die ZG mit einer 51%-Beteiligung. Zugerechnet werden der A-GmbH aber dann ein Hinzurechnungsbetrag von 49%. Zum gleichen Ergebnis hinsichtlich der Beherrschungsquote würde es z.B. führen, wenn die aufgezeigte Beteiligungsstruktur weiterhin Gültigkeit besitzt und die A-GmbH anstatt den 49% nur zu 1% an der ZG und die B-S.à.r.l. zu 50% anstatt den 2% an der ZG beteiligt ist. Auch in diesem Fall „beherrscht“ die A-GmbH zu 51% die ZG. Zugerechnet werden der A-GmbH dann ein Hinzurechnungsbetrag von 1%.
Das zweite Schaubild wird schon komplexer und zeigt auf wie bei einer Konzernstruktur die Prüfung durchzuführen ist. Das Beherrschungskonzept mit den entsprechenden Beherrschungsquoten ist jeweils für die A-GmbH, B-GmbH und für die C-GmbH zu ermitteln. Die A-GmbH hält unmittelbar 40% an der ZG. Des Weiteren ist sie nahestehende Person zur B-GmbH (da mind. 25% Beteiligung), so dass die unmittelbare Beteiligung von 40% der B-GmbH ebenfalls der A-GmbH mit zuzurechnen sind. Hinsichtlich der mittelbaren Beteiligung an C werden die Beteiligungsverhältnisse durchgerechnet (25% * 20%). In Summe hat die A-GmbH eine Beherrschungsquote von 85%. Die B-GmbH ist unmittelbar an der ZG zu 40% beteiligt. Des Weiteren sind die A-GmbH sowie die C- GmbH nahestehende Personen, so dass deren Beteiligungen an der ZG vollständig in die Beherrschungsquote der B-GmbH berücksichtigt werden (in Summe 100%). Die C-GmbH ist unmittelbar zu 20% beteiligt. Des Weiteren ist die B-GmbH als nahestehende Person zu qualifizieren, so dass die Beteiligung von 40% ebenfalls der C-GmbH zuzurechnen sind. Die Beherrschungsquote der C GmbH beträgt somit 60%. Somit haben alle drei Gesellschaften die Beherrschungsquote erfüllt und haben die Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung zu beachten. Fazit: Die vereinfachten Beispiele machen deutlich, dass durch das neue Beherrschungskonzept eine Vielzahl von Unternehmen, die bis dato noch keine Berührungspunkte mit der Hinzurechnungsbesteuerung hatten, künftig Compliance-Themen wie Erstellung von AStG-Erklärungen auf dem Radar haben sollten. Insbesondere die Tatbestandsvoraussetzungen der Beherrschung (und die Ermittlung der Beherrschungsquote) bezugnehmend auf nahestehende Personen wird künftig eine jährliche und detaillierte Prüfung der Konzernstruktur (anhand eines aktuellen Konzernorganigramms) zur Folge haben, um sicherzustellen, inwiefern eine gesellschafterbezogene Beherrschung vorliegt.
b) Beherrschung durch gleichgerichtete Interessen nach § 7 Abs. 4 AStG-E
Neben den unter a) erläuterten Beteiligungsstrukturen liegen nahestehende Personen aber auch dann vor, wenn Beteiligte gleichgerichtete Interessen haben, um bezugnehmend auf die Zwischengesellschaft ein abgestimmtes Verhalten zu erwirken. Nach den Ausführungen im Gesetzesentwurf der Bundesregierung kann ein solches abgestimmtes Verhalten etwa bei Familienangehörigen vorkommen.
Für Gesellschafter einer Personengesellschaft, die an einer Zwischengesellschaft beteiligt sind, wird gemäß dem Regierungsentwurf ein solches Zusammenwirken aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Struktur unterstellt. Das folgende Beispiel soll die Dimension dieser Regelung aufzeigen:
Nimmt man die Erläuterung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung für bare Münze, dann würde die gezeigte Struktur dazu führen, dass die Zwischengesellschaft durch A (aufgrund der Beteiligung über die Personengesellschaft) beherrscht wird, da mit den weiteren Investoren aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Struktur ein Zusammenwirken unterstellt wird. A würde daher den Tatbestand der Beherrschung erfüllen!
Fazit: Da im Gesetzesentwurf der Bundesregierung keine weiteren Ausführungen diesbezüglich gemacht werden, sollten in 2021 frühzeitig Überlegungen und etwaige Umstrukturierungen in Betracht gezogen werden, um den Tatbestand des abgestimmten Verhaltens nicht zu erfüllen und hierdurch eine etwaige Hinzurechnungsbesteuerung zu vermeiden.
c) Doppelt ansässige Gesellschaften
Da die Vorgaben der Hinzurechnungsbesteuerung alle Mitgliedsstaaten der EU umzusetzen haben, stellt sich die Frage was gelten soll, wenn ein Steuerpflichtiger in einem Mitgliedsstaat seinen Sitz und im anderen Mitgliedsstaat den Ort der Geschäftsleitung hat. Der Steuerpflichtige würde zunächst in beiden Staaten der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen.
Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung gibt es hierzu keine Äußerungen (eine Tie-Breaker Rule lässt sich aus dem Entwurf nicht entnehmen). Aufgrund dessen kann es zu einer Doppelbesteuerung bzw. zum Verständigungsverfahren kommen.
Fazit: Hier sollte frühzeitig Anstrebungen unternommen werden, um eine doppelte Ansässigkeit zu vermeiden.
B. Verhältnis zwischen InvStG und AStG
Nach aktuell geltenden Recht sperrt § 7 Abs. 7 AStG die Hinzurechnungsbesteuerung, wenn auf die Einkünfte der ausländischen Zwischengesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetz anzuwenden sind. Dadurch werden zum einen die durch den ausländischen Investmentfonds unmittelbar erzielten Einkünfte sowie auch der durch nachgeschalteten Zwischengesellschaften erzielten und dem Investmentfonds zugerechneten Zwischeneinkünfte nach § 14 AStG von der Hinzurechnungsbesteuerung ausgenommen.
Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung wurde § 7 Abs. 7 AStG durch d§ 7 Abs. 5 AStG-E ersetzt. Danach ist die Hinzurechnungsbesteuerung nicht anzuwenden, wenn auf die Einkünfte, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, die Vorschriften des InvStG anzuwenden sind. Dies gilt allerdings nicht, soweit die Einkünfte der zugrunde liegenden Geschäfte zu mehr als einem Drittel mit der steuerpflichtigen oder nahestehende Person betrieben werden.
Aufgrund des neuen Hinzurechnungsbesteuerungskonzepts nach dem unmittelbare sowie mittelbare Beteiligungen den unbeschränkt Steuerpflichtigen (gilt auch für beschränkt Steuerpflichtige) künftig unmittelbar zugerechnet werden, fehlt im Gesetzesentwurf aber die Klarstellung, dass dieser Vorrang ebenfalls für mittelbar über einen Investmentfonds gehaltene Beteiligung gilt (bisherige Regelung des § 14 AStG). Die fehlende Regelung würde bezogen auf den Fonds nachgeschaltete Zwischengesellschaften den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung eröffnen. Das folgende Beispiel soll den Regelungsgehalt für nachgeschaltete Zwischengesellschaften aufzeigen:
Die nachgeschaltete Zwischengesellschaft erfüllt nicht die Voraussetzungen des Investmentfonds (InvStG). Die Zinseinkünfte unterliegen daher nicht den Vorschriften des InvStG und die Abschirmwirkung des InvStG entfällt. Die Zinseinkünfte würden im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung den Anlegern direkt zugerechnet.
Fazit: Die beschriebene Regelung würde inländische Anleger künftig verpflichten, eine AStG Erklärung abzugeben was einen erheblichen Compliance-Aufwand für alle Beteiligte darstellen würde.
C. Anpassung des Aktivitätskatalogs nach § 8 Abs. 1 AStG-E
Der bisher geltende Aktivitätskatalog wird auch künftig beibehalten. Anpassungen ergeben sich insbesondere in den folgenden Tätigkeiten:
a) Zinserträge sind künftig als passive Tätigkeit einzuordnen. So werden künftig die Aufnahme und darlehensweise Vergabe von Kapital nach dem bisherigen § 8 Abs.1 Nr.7 AStG als aktive Tätigkeit gestrichen. Diese Einordnung als künftige passive Tätigkeit eröffnet insbesondere für die Finanzierung weltweit tätiger Konzerne die Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung.
b) Gewinnausschüttungen sind nicht mehr vollumfänglich als aktive Tätigkeit einzuordnen. Stattdessen werden die Regelungen des KStG im neuen Gesetzesentwurf des ATAD implementiert. Eine passive Tätigkeit würde u.a. vorliegen, wenn eine Streubesitzbeteiligung ( § 8b Abs. 4 KStG) vorliegen würde, wenn die Zwischengesellschaft nicht dazwischengeschaltet worden wäre. Entsprechendes würde gelten, wenn § 8b Abs. 7 KStG einschlägig ist.
Fazit: Neben der bereits beschriebenen erheblichen Aufwand der Beurteilung des Beherrschungskonzepts in der Konzernstruktur, werden künftig im Konzern die Vergabe von Darlehen als passive Tätigkeit „sanktioniert“. Dies hat zur Folge, dass künftig vereinnahmte Zinserträge in der AStG Erklärung zu erfassen sind.
D. Substanztest nach § 8 Abs. 2 AStG-E
Soweit die Tatbestandsvoraussetzung der Hinzurechnungsbesteuerung erfüllt sind, kann eine Entlastung von dieser erfolgen, soweit der Nachweis erbringt wird, dass die ausländische Gesellschaft eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit nachgeht. Dieser Nachweis kann nur erbracht werden, sofern diese Gesellschaft in der EU oder in einem EWR Staat liegt.
Der Entwurf der Bundesregierung verschärft nun diesen Nachweis in dergestalt, dass für die ausgeübte Tätigkeit eine erforderliche sachliche sowie personelle Ausstattung von Nöten sind (§ 8 Abs. 2 S. 2 AStG-E.
Das Personal muss des Weiteren hinreichend qualifiziertes Personal sein, welches selbstständig und eigenverantwortlich die Tätigkeit ausübt. Das Substanzerfordernis wird somit in der Neuregelung noch weiter verschärft. Soweit die Gesellschaft ihre wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend durch Dritte besorgen lässt, ist ein Nachweis ausgeschlossen, so dass die Hinzurechnungsbesteuerung zur Anwendung kommt. Zusätzlich wird weiterhin die bereits bestehende Amtshilfevoraussetzung bestehen bleiben.
Fazit: In der Praxis wird künftig darauf zu achten sein, inwiefern u.a. outgesourcte Tätigkeiten (z.B. Arbeitnehmerüberlassung, Management Agreements) und Holdinggesellschaften (Voraussetzungen für ausreichend Substanz?) dem Motivtest möglicherweise negativ entgegenstehen. Es sollten daher bei Konzernstrukturen, die zum einen Konzernbeziehungen in der EU/EWR haben und zum Anderen die Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung im Grundsatz erfüllen würden, die Voraussetzungen des Substanzerfordernisses frühzeitig untersucht werden.
III. Ausblick
Die neue Hinzurechnungsbesteuerung enthält viele Neuerungen. Diese sollten sich Unternehmen frühzeitig bewusst werden, um etwaige Compliance-Themen und ggf. Umstrukturierungen noch in 2021 abzudecken.
Gerne steht Ihnen ihr TAXGATE Team bei Fragen zur neuen Hinzurechnungsbesteuerung zur Verfügung.