Das BMF-Schreiben Verwaltungsgrundsätze 2020 vom 3.12.2020 (nachfolgend: „VG 2020“) enthält Regelungen für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Bezug auf Mitwirkungspflichten gem. § 90 AO sowie die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen und Zuschlägen gem. § 162 AO. Das Schreiben ersetzt teilweise die Verwaltungsgrundsätze Verfahren aus dem Jahr 2005 (nachfolgend: „VGV 2005“), die außer zu den Regelungen zu §§ 90 und 162 AO weiterhin anwendbar bleiben. Insbesondere die Kapitel 1 und 2 sowie 5 bis 7 der VGV 2005 bleiben also unverändert erhalten. Die VG 2020 sind ab sofort auf alle offenen Fälle anwendbar.
Hintergrund der VG 2020 sind – ausgehend von OECD BEPS Aktionspunkt 13 – die aktualisierten OECD Transfer Pricing Guidelines 2017 sowie die daraufhin in Deutschland erfolgten Änderungen in § 90 Abs. 3 AO sowie der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) idF. vom 12.07.2017. Die VGV 2005 enthielten noch den alten Rechtsstand und waren deshalb zu aktualisieren.
Tendenziell geht das BMF mit den VG 2020 jedoch einen Schritt weiter und würzt die deutschen Dokumentationsanforderungen bei dieser Gelegenheit nochmals kräftig nach. Gleichzeitig vergibt das BMF an diversen Stellen die Chance, seit langem offene Fragen zu beantworten und die erforderliche Guidance zB. zu Value Chain Analysen zu liefern. Weiterhin wurde die Chance nicht genutzt, die Verwaltungsgrundsätze 1983 und die VGV 2005 zu einem einzigen BMF-Schreiben zu verschmelzen. Statt einem sind es jetzt künftig drei BMF Schreiben. Insbesondere das Nebeneinander von VGV 2005 und VG 2020 ohne eine klare Abgrenzung einzelner Kapitel und Textziffern ist nur sehr aufwendig handzuhaben.
Die zentralen Punkte der VG 2020 sind:
- Ausgeweitete Mitwirkungs- und Vorlagepflichten;
- Auf das Ausland ausgeweitete inländische Aufbewahrungsfristen;
- Einführung einer Best Method Rule;
- Sehr konfrontative Wortwahl;
- Wichtige Themen wie zB. digitale Geschäftsmodelle oder Value Chain Analysen werden nicht aufgegriffen;
- Steuerstrafrechtliche Aspekte werden künftig noch relevanter;
- Anträge auf Anerkennung anderer Sprachen werden bedeutsamer;
- Recht der Finanzverwaltung eine Alternativmethode auszuwählen;
- Anforderung einer TP-Dokumentation künftig auch außerhalb einer BP möglich und
- Angebot von Vorab-Erörterungen und Abstimmungen mit der Finanzverwaltung.
Zu den Mitwirkungspflichten nach § 90 AO
Verschärft wurden die Pflichten des Steuerpflichtigen mit Bezug auf den Datenzugriff in dem § 200 AO neben § 90 AO tritt. Künftig gilt die Vorlagepflicht ausdrücklich für die Beschaffung (und nicht nur Benennung) von zB. Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisen, soweit sie für die Bildung von Verrechnungspreisen oder die Einkünfteermittlung in deren Zusammenhang (von der Betriebsprüfung) für bedeutsam erachtet werden. Genannt werden dazu Emails, Messengerdienstnachrichten (zB. WhatsApp) oder andere elektronische Kommunikationsmedien, Bücher, Aufzeichnungen. Inländische Aufbewahrungsfristen werden auf das Ausland übertragen (Tz. 11). Dies steht in direktem Widerspruch zu Kapitel V den OECD TP Guidelines, wonach in Kapitel 5.35 der Steuerpflichtige dazu gerade nicht verpflichtet werden soll.
Bei Abschluss von Intercompany-Verträgen fordert die Finanzverwaltung Auskunftsklauseln, um künftig einfacher auf Informationen aus dem Ausland zugreifen zu können (Tz. 14).
Im Fall von Mehrheitsbeteiligungen oder einer gleichzeitigen Geschäftsführertätigkeit im Ausland in Personalunion geht die Finanzverwaltung wie schon in den VGV 2005 (immer) davon aus, dass diese Unterlagen beschaffbar sind (Tz. 17).
Verschärft wurde ggü. den VGV 2005 in Tz. 18 auch der Fall einer sog. Pflichtenkollision des Steuerpflichtigen (Ausländische Auskunftsverbote vs. inländische Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO). Nach den VGV 2005 war eine daraus resultierende Verweigerung bei der Mitwirkung im Inland noch berechtigt, jetzt soll sie nach den VG 2020 zur Möglichkeit einer Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO führen.
Zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe wie z.B. „gewisse Wahrscheinlichkeit“ und „Unschärfen“ sind nicht gerade hilfreich um Auslegungsfragen zu klären wie etwa die Frage, wann Ergebnisse einer durch die Finanzverwaltung angewandten Alternativmethode „wahrscheinlicher“ sein sollen (Tz. 46).
Allein 4 (!!) Absätze in den Tz. 22 und 34 widmet das Schreiben den Sprachanforderungen, der Amtssprache Deutsch und etwaigen Übersetzungen. Sogar das Masterfile, das nur einen allgemeinen Überblick liefern soll und gemäß OECD Verständnis eigentlich nur einmal im Konzern erstellt werden soll und damit grundsätzlich einen englischsprachigen Charakter erhalten hat, soll nur auf Antrag in Englisch zugelassen werden und ggf. übersetzt werden müssen. Hier muss man sich als Steuerpflichtiger schon fragen, warum die deutsche Finanzverwaltung im 21. Jahrhundert noch solche sprachlichen Defizite im internationalen Umgang offenbart.
Nicht weiter präzisiert ist auch, wie der Steuerpflichtige sein ernsthaftes Bemühen anhand „objektivierter Umstände“ hinsichtlich der Sachverhalts- und der Angemessenheitsdokumentation darlegen soll (Tz. 36).
Die sog. Best Method Rule in Tz. 45 verpflichtet den Steuerpflichtigen im Rahmen der Methodenwahl darzulegen und zu begründen, warum er die letztendlich gewählte Methode für die am besten geeignete Methode hält.
Das Schreiben räumt in Tz. 46 der Finanzverwaltung das Recht ein, die „richtige Verrechnungspreismethode“ in Form der Methode selbst auszuwählen, die sie für die geeignetste Methode hält. Dazu soll es reichen, dass die Ergebnisse der angewandten Alternativmethode „wahrscheinlicher“ sind. Dies birgt natürlich Sprengstoff für künftige Betriebsprüfungen, da das Schreiben vollkommen offen lässt, wie diese Wahrscheinlichkeit zu bestimmen ist. Dazu erforderliche Informationen soll jedenfalls der Steuerpflichtige vorlegen.
Der Faktor „Zeit“ spielt in den Tz. 35 und 49 eine wesentliche Rolle: Maßgebender Zeitpunkt für den Fremdvergleich und für die Erstellung von Aufzeichnungen ist grundsätzlich der Abschluss eines Vertrages, dh. also die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vereinbarung eines Geschäftsvorfalls. Deshalb sind künftig Angaben zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung zu machen. Nachträglich bekannt werdende Fremdvergleichsdaten können weiterhin eingesetzt werden, sofern sie sich auf Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung beziehen. In der Praxis zwischenzeitlich sehr gängige Price Setting/Profit Checking Modelle sollten also weiterhin funktionieren.
Tz. 61 sieht vor, dass in begründeten Einzelfällen (zB. Verständigungsverfahren) auf außerhalb einer Betriebsprüfung Dokumentationen angefordert werden können. In Verbindung mit Tz. 64, die eine regelmäßige und zeitnahe Sammlung von Daten und Informationen empfiehlt, drängt die Finanzverwaltung zunehmend auf eine zeitnahe Verrechnungspreisdokumentation.
Die Möglichkeit, dass die Finanzverwaltung gem. Tz. 66 zusätzliche, detailliertere oder weitere Unterlagen anzufordern eröffnet sog. fishing expeditions Tür und Tor. Hier sollten sich Steuerpflichtige im Zweifel genau darlegen lassen, was genau die Anhaltspunkte für solche weiteren Nachfragen sind und wie diese begründet werden können.
Zur Schätzungsbefugnis nach § 162 AO
Der sog. Beweisverderber soll nach Tz. 67 dadurch nicht bevorzugt werden, indem dann künftig eine Schätzungsbefugnis ausgelöst wird.
Mittels des nicht näher bestimmten Terminus „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ in Tz. 71 soll im Schätzungsfall sichergestellt werden, dass die Finanzverwaltung den „richtigen“ Verrechnungspreis bestimmt und zugrunde legt. Datenbankstudien sollen nach Tz. 72 für Schätzungszwecke zulässig sein. Hier wäre ein Verweis auf die Kapitel 3.4.10.2 und 3.4.10.3 der VGV 2005 sinnvoll, wonach Datenbankstudien nur für die darin als geeignet erachteten Unternehmenscharakteristika anwendbar sind, und nicht ganz generell. Ansonsten sind hier Tür und Tor für Benchmarking Szenarien in Schätzungsfällen geöffnet, die so eigentlich nicht zu rechtfertigen sind.
Verwertbare Aufzeichnungen sollen nicht verhindern können, dass die Finanzverwaltung trotzdem weitere Auskünfte verlangen oder Verprobungen vornehmen kann (Tz. 73). Damit schließen verwertbare Aufzeichnungen Schätzungen nicht aus
Die Wortwahl ist zumindest provokant, wenn aufgrund eines Verstoßes gegen Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO nach Tz. 80 widerlegbar vermutet werden darf, dass die Einkünfte aus I/C Geschäften durch eine „nicht fremdübliche Gestaltung“ gemindert worden sind. Das BMF gibt damit der Betriebsprüfung Formulierungen an die Hand, die geeignet sind, die ökonomisch nicht zu vermeidende Notwendigkeit im Konzern Verrechnungspreise zu verwenden, mit Kategorien wie zumindest Steuervermeidung, -arbitrage oder einer “bad citizenship“ gleichzusetzen. Dass eine solche Wortwahl die Atmosphäre in Betriebsprüfungen zumindest belasten kann, ist stark anzunehmen.
Tz. 82 stellt dar, welche Kriterien an eine Aufzeichnung gelegt werden um sie als unverwertbar einzustufen. Eine Gelegenheit zu Nachbesserung durch den Steuerpflichtigen ist nach Tz. 84 vorgesehen.
Nach Tz. 91 sind die VG 2020 auf alle offenen Fälle sofort anwendbar.
Take Away
Zusammengefasst betrachtet erweckt das Schreiben nicht gerade den Eindruck, also ob die Finanzverwaltung das Thema Verrechnungspreise künftig streitvermeidend verfolgen will. Im Gegenteil.
Steuerpflichtige sollten deshalb ihre Verrechnungspreisdokumentationen für alle offenen Jahre zeitnah auf die neuen Anforderungen nach den VG 2020 überprüfen und diese ggf. nacharbeiten und ergänzen um nicht Gefahr zu laufen, die neuen Anforderungen nicht zu erfüllen und/oder gar in eine Schätzungssituation zu gelangen.
Ihre TAXGATE Verrechnungspreis-Experten können Sie dabei umfassend begleiten, um gravierende Steuernachteile zu vermeiden und rechtzeitig die erforderliche Maßnahmen umzusetzen.