Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit seinem Schreiben vom 4. September 2024 auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) reagiert und die BFH-Urteile vom 28. September 2022 sowie vom 28. September 2021 über den Einzelfall hinaus angewendet. Damit korrigiert das BMF seine frühere Auffassung aus dem Schreiben vom 17. Dezember 2013. Diese Anpassung ist erfreulich, da sie Rechtssicherheit für Unternehmen und Gesellschafter schafft. Was bedeutet das konkret für die steuerliche Behandlung inkongruenter Gewinnausschüttungen? Wir beleuchten die Hintergründe und die Auswirkungen dieser Entwicklung.
Hintergrund: BFH-Urteile und die bisherige Verwaltungsauffassung
Bislang vertrat das BMF die Ansicht, dass Gewinnausschüttungen grundsätzlich den in der Satzung festgelegten Verteilungsregeln entsprechen müssen, um steuerlich anerkannt zu werden. Abweichungen, sogenannte inkongruente Gewinnausschüttungen, führten oft zu Unsicherheiten bei der Besteuerung. Der BFH hat mit seinen Urteilen vom 28. September 2021 und 28. September 2022 jedoch klargestellt, dass zivilrechtlich wirksame Beschlüsse der Gesellschafter auch steuerlich zu berücksichtigen sind, selbst wenn sie von der Satzung abweichen.
Im Urteil vom 28. September 2022 entschied der BFH, dass ein einstimmig gefasster Gesellschafterbeschluss über eine inkongruente Vorabausschüttung steuerlich anzuerkennen ist, sofern er satzungsdurchbrechend ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann. Ein solcher Beschluss führt dazu, dass ein Gesellschafter, an den kein Gewinn verteilt wird, keinen steuerpflichtigen fiktiven Zufluss zu versteuern hat. Damit wird klargestellt, dass die tatsächliche Verteilung des Gewinns und nicht die satzungsmäßige Beteiligung für die Besteuerung maßgeblich ist.
Das Urteil vom 28. September 2021 behandelt eine andere Konstellation. Hier entschied der BFH, dass ein zivilrechtlich wirksamer Beschluss, nach dem der Gewinnanteil eines Mehrheitsgesellschafters nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ebenfalls steuerlich anzuerkennen ist. Dies gilt auch, wenn gleichzeitig die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden. Die Einstellung in eine Gewinnrücklage führt selbst bei einem beherrschenden Gesellschafter nicht zu einem unmittelbaren fiktiven Zufluss von Kapitalerträgen. Diese Entscheidung stärkt die Flexibilität von Gesellschaften bei der Gewinnverwendung.
Anpassung durch das BMF-Schreiben vom 4. September 2024
Mit dem BMF-Schreiben vom 4. September 2024 nimmt die Finanzverwaltung diese Rechtsprechung nun ausdrücklich auf und wendet sie über die konkreten GmbH-Sachverhalte der BFH-Urteile hinaus an. Nach neuer Verwaltungsauffassung ist ein satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Gewinnausschüttung steuerlich relevant, wenn er zivilrechtlich wirksam ist. Voraussetzung ist, dass die Gesellschafterversammlung den Beschluss einstimmig fasst und keine Anfechtung möglich ist. Das bedeutet, dass die Besteuerung künftig an der tatsächlichen Gewinnverteilung und nicht an der satzungsmäßigen Beteiligung orientiert wird.
Für Aktiengesellschaften (AG) sieht das BMF-Schreiben jedoch eine Einschränkung vor. Hier wird eine inkongruente Gewinnausschüttung nur dann steuerlich anerkannt, wenn in der Satzung ein abweichender Gewinnverteilungsschlüssel festgelegt ist. Eine bloße Öffnungsklausel in der Satzung oder ein satzungsdurchbrechender Beschluss reichen nicht aus. In solchen Fällen führt die inkongruente Ausschüttung laut BMF zu einem steuerpflichtigen Zufluss (Rz. 8 des Schreibens). Diese unterschiedliche Behandlung von GmbHs und AGs könnte in der Praxis Diskussionen auslösen.
Praktische Auswirkungen und Bedeutung
Die Anpassung durch das BMF-Schreiben schafft Klarheit und erhöht die Planungssicherheit für Gesellschaften. Insbesondere bei GmbHs können Gesellschafter nun flexibler über die Verteilung oder Rücklage von Gewinnen entscheiden, ohne steuerliche Nachteile befürchten zu müssen. Ein Beispiel: Eine GmbH mit drei Gesellschaftern beschließt einstimmig, dass nur zwei Gesellschafter eine Ausschüttung erhalten, während der dritte seinen Anteil in eine Rücklage einbringt. Nach den BFH-Urteilen und dem neuen BMF-Schreiben wird der dritte Gesellschafter nicht mit einem fiktiven Zufluss belastet.
Für Aktiengesellschaften bleibt die Lage jedoch restriktiver. Wenn eine AG eine inkongruente Gewinnausschüttung ohne entsprechende Satzungsgrundlage beschließt, wird dies steuerlich nicht anerkannt. Dies könnte Mehrheitsaktionäre dazu veranlassen, die Satzung frühzeitig anzupassen, um ähnliche Flexibilität wie bei GmbHs zu erreichen.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die BFH-Urteile vom 28. September 2021 und 28. September 2022 sowie das BMF-Schreiben vom 4. September 2024 markieren einen wichtigen Schritt hin zu einer praxisnäheren steuerlichen Behandlung inkongruenter Gewinnausschüttungen. Während GmbHs von der neuen Flexibilität profitieren, bleiben AGs an striktere Vorgaben gebunden. Unternehmen sollten ihre Satzungen und Beschlusspraktiken überprüfen, um steuerliche Risiken zu vermeiden und die neuen Möglichkeiten optimal zu nutzen. Zum Stand 5. September 2024 bietet das BMF-Schreiben eine solide Grundlage für die steuerliche Planung, auch wenn die unterschiedliche Behandlung von GmbHs und AGs weiterhin Beachtung erfordert.
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Stand: September 2024 – Änderungen im Gesetzgebungsprozess vorbehalten.