Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit seinem Urteil vom 28. November 2023 seine Rechtsprechung zur Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes bei Schätzungen fortgeführt. Damit setzt er der Praxis der Finanzverwaltung, sogenannte „Mondschätzungen“ in Betriebsprüfungs- und Steuerfahndungsfällen durchzuführen, klare Grenzen. Welche Vorgaben gelten nun für Schätzungen, und wie wird der Vertrauensschutz gewährleistet?

Eine Schätzung von Einnahmen darf sich laut BFH nicht allein auf die Benennung formeller oder materieller Mängel stützen. Sie muss vielmehr nach ihrer Bedeutung für den konkreten Einzelfall gewichtet werden. Eine Vollschätzung, die die Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen vollständig verwirft, ist nur bei gravierenden Mängeln zulässig. Dies stärkt den Vertrauensschutz gegenüber der Finanzverwaltung.

Der Sachverhalt

Im zugrunde liegenden Fall betrieb ein Restaurantbesitzer in den Jahren 2011 bis 2014 ein Geschäft mit überwiegend Bareinnahmen. Er nutzte eine einfache elektronische Registrierkasse aus den 1980er Jahren. Die Finanzverwaltung hielt die Aufzeichnungen für unzureichend und nahm eine Vollschätzung vor, die die erklärten Umsätze vervierfachte. Das Finanzgericht (FG) beauftragte einen Sachverständigen, der feststellte, dass ein interner Zähler (Z1-Zähler) der Kasse durch Codes veränderbar war. Solche Änderungen könnten jedoch bei Reparaturen notwendig sein. Das FG sah die Kasse als objektiv manipulierbar und für steuerliche Zwecke ungeeignet an, obwohl eine tatsächliche Manipulation nicht nachgewiesen wurde. Es bestätigte die Schätzung der Finanzverwaltung weitgehend.

Entscheidung des BFH

Der BFH hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das FG zurück. Zwar war die verwendete Registrierkasse objektiv manipulierbar, was grundsätzlich einen schwerwiegenden formellen Mangel darstellt und der Finanzverwaltung Schätzungsbefugnis gibt. Allerdings betonte der BFH, dass die Manipulierbarkeit solcher alter Kassenmodelle erst mit der Zeit bekannt wurde. Unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes sei Steuerpflichtigen unter bestimmten, im Urteil genannten Voraussetzungen Nachsicht zu gewähren. Das Gewicht des in der objektiven Manipulierbarkeit liegenden Mangels sei dann nicht so hoch wie im Regelfall und könne bei Führung zusätzlicher Nachweise sogar ganz entfallen. Eine pauschale Vollschätzung sei unverhältnismäßig.

Zum Stand 14. April 2024 bleibt diese Rechtsprechung maßgeblich, da keine weiteren Entscheidungen oder gesetzlichen Änderungen vorliegen. Der BFH stärkt damit den Vertrauensschutz und fordert von der Finanzverwaltung eine differenzierte Prüfung statt überzogener Schätzungen.

Handlungsoptionen

Das Urteil schützt Steuerpflichtige vor willkürlichen Eingriffen der Finanzverwaltung. Es zeigt, dass Schätzungen nicht automatisch gerechtfertigt sind, selbst bei technischen Mängeln, sondern im Einzelfall abgewogen werden müssen. Besonders bei älteren Systemen, deren Schwächen erst später erkannt wurden, greift der Vertrauensschutz. Steuerpflichtige sollten daher zusätzliche Nachweise führen, um ihre Gewinnermittlung zu stützen und überhöhte Schätzungen zu vermeiden.

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